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Geschichte

Gregorianischer Choral ist die Klanggestalt der liturgischen Texte in der römischen Liturgie.

Gregorianischer Choral ist einstimmig,
unbegleitet und vor allem unharmonisiert.
Gregorianischer Choral ist Sprachkunst und nicht Musik.

Wovon ich begeistert bin, das muss ich aller Welt mitteilen, das muss ich laut aussprechen, das muss ich singen: „cantare amantis est“ (Augustinus).

DIE WURZELN

Das Christentum und die christliche Liturgie entspringen der jüdisch orientalischen Tradition zu einer Zeit, da sie von der hellenistischen Kultur und dem römischen Imperium umgeben ist. Aus dieser hellenistisch-orientalischen Wurzel erwächst die messianische ekklesia, die christliche Kirche.

Ihr gottesdienstliches Beten, ihre liturgischen Texte und deren Klangleib, der Choral, prägen wesentlich das Werden dessen, was wir heute oft nur mehr verschämt christliches Abendland nennen. Von den frühesten Anfängen (Philipperhymnus 49 n.Chr., Magnificat 1. Jh., die älteste Melodie die wahrscheinlich als ursprünglich eingestuft werden kann „Veni redemptor gentium“ des Ambrosius = „Komm du Heiland aller Welt“ 4. Jh.) bis zu dem Punkt, wo aus der Sicht des 19. Jh. der „gregorianische Choral“ relativ leicht lesbar wird, vergehen tausend Jahre. Die Vorstellung (opinio communis), Choral sei all diese Zeit immer eines gewesen, von leicht korrigierbaren Rändern abgesehen immer das unwandelbar Selbe, wie wir es aus den Handschriften des 13. Jh. singen könnten, ist geschichtslos fundamentalistisch.

Die ältesten Dokumente, die uns zur Verfügung stehen, zeigen die beginnende Trennung des römischen Imperiums in eine griechische und eine lateinische Hälfte auf. Die lateinische Liturgie steht völlig im Einfluss der griechischen Welt, der byzantinischen Liturgie. ( → Hippolyt)

Das wenige wesentliche Wissen über den frühen Choral vermittelt uns Augustinus:

Ambrosius „führt in der lateinischen Liturgie den Hymnus und die Antiphone ein“. Gemeint ist der Hymnus im neueren Sinn, das Strophenlied. Die Hymnen verwenden Texte, die nicht aus der Bibel stammen: „psalmi idiotici“, die daher bis ins 12. Jh. nicht wirklich zur Liturgie gezählt werden und folglich auch so spät zum ersten Mal notiert werden. Was unter Antiphone zu verstehen ist, ist nicht klar: Ist es das abwechselnde Singen des Psalms, oder doch der Rahmenvers zu einem Psalm, unsere Antiphon?

Im 5. und 6. Jahrhundert wird die lateinische Welt endgültig selbständig. Die vier lateinischen Kirchenväter sind Ausdruck dieses Selbststandes.

Ambrosius von Mailand (+397) ist der Vater der lateinischen Musik (Hymnus, Antiphone. Der Hymnus „deus creator omnium“ ist nachweislich von ihm). Er ist der erste Stummleser der Geschichte.

Augustinus von Hippo (+430) berichtet darüber in seiner Autobiographie „confessiones“ und reflektiert in seinem theoretischen Werk „De musica“ die Grundlagen des Singens.

Ambrosius und Augustinus sind Lehrer und Schüler.

Hieronymus (+420) schafft seine lateinische Bibelübersetzung, die „Vulgata“ aus dem Hebräischen. Den Psalter übersetzt er zweimal, zuerst logisch genau, dann um dem Erklingen der Texte gerecht zu werden musikalisch. In der Praxis des Stundengebetes hat sich die „logische“ Übersetzung durchgesetzt.

Gregor d.Gr. (590-604) ist wesentlich an der Organisation des lateinischen liturgischen Gesangs beteiligt. Seine Rolle als Schöpfer des Gregorianischen Chorals ist allerdings karolingische Propaganda.

Leo d.Gr. (440-461), nur er und Gregor haben als Papst den Beinamen „der Große“, war Nuntius in Byzanz und konnte als letzter Papst griechisch sprechen. Von ihm stammen die klassisch kurzen, auf den Punkt gebrachten Orationen der lateinischen Liturgie. Zwischen den beiden „großen“ Päpsten versucht der oströmische Kaiser

Justinian (527-565) noch einmal vergeblich den Mittelmeerraum politisch zu einen. Nur zwei Jahrhunderte nach seinem Tod wird der Islam die christlichen Staaten im südlichen Mittelmeer einschließlich Spanien auslöschen, Jerusalem erobern (638) und das christliche Abendland vor Byzanz, in Frankreich und in den Alpen bedrohen.

Währenddessen haben sich im lateinischen Europa regionale Liturgien und damit regionale Gesangsweisen entwickelt:

ALTSPANISCHER Choral (wisigotischer Choral) mit dem Zentrum Toledo,

GALLIKANISCHER Choral bildet keine Einheit, sondern besteht aus verschiedenen regionalen Zentren in Frankreich (Lyon, Chartres etc.),

BENEVENTANISCHER Choral in Süditalien mit starkem griechischen Einfluss.
Weitere Liturgiezentren wie Aquileia oder auch Irland/England verloren rasch ihre Selbstständigkeit und wurden dem

ALTRÖMISCHEN Choral angegliedert und somit Rom unterstellt. Lediglich die altspanische Liturgie, durch den Islam von Rom abgeschnitten und der

AMBROSIANISCHE Choral in Mailand mit seinem Fundament im Kirchenvater Ambrosius und seiner weitgehend älteren Tradition als Rom, konnten sich der beginnenden Zentralisierung und Uniformierung jahrhundertelang entziehen. Einige Stücke dieses Repertoires sind in den Gregorianischen Choral übernommen worden. Wo immer ein Pes stratus auftaucht, handelt es sich um ein Stück aus dem ambrosianischen Repertoire.

In der Zeit bis zu Papst Gregor, bis ins 6. Jahrhundert blüht die

Responsoriale Komposition

Der liturgische Text ( die Oration, der Psalm, die Lesung) wird auf einem Ton vorgetragen. Melodie-floskeln signalisieren Beistrich, Punkt und Absatz (im lateinischen Beistrich, Strichpunkt; Punkt.) Die responsoriale Komposition ist, abgesehen von den Interpunktionsfloskeln syllabisch.

psalmum dicere = einen Psalm singen GL „Vom Himmel hoch“ …davon ich singen und sagen will. Bei Augustinus, und noch Luther weiß das, ist Singen und Sagen(Reden) das Selbe. Einen Text lesen, meint ihn laut zu lesen, das geschieht nach responsorialen Modellen, die die Interpunktion ausdrücken

,  Beistrich   Nebensatz  Flexa
;  Strichpunkt Satz       Metrum
.  Punkt       Absatz     Conclusio

Zu den schlichtesten Beipielen gehört die Oration: sie verwendet einen Halbton nach unten auf dem letzten Ton für die Flexa und zwei Silben nach unten vor dem letzten Akzent für das Metrum, mehr nicht. Die Conclusio geht ohne Floskel „in directum“ gerade zu Ende.

„responsoriale Kompositionen“ sind aber nicht unbedingt schlicht. Die Responsoria prolixa, aber auch die Tractus und Gradualien des Messrepertoires sind responsorial komponiert: Rezitationen, auf denen kaum mehr als ein Akzent durch Pes hervorgehoben wird und tonreiche Interpunktionsmelismen.

Antiphonale Komposition

Um oder unmittelbar nach Gregor dem Großen (+604) etabliert sich ein jüngerer Stil in der Gregorianik. Die Sprechmelodie wird in ihrer Emotionalität nachgezeichnet, nicht bloß grammatisch interpunktiert. Sinntragende Neumen (Pes, Clivis, Torculus…) reichern die grundsätzlich syllabische Melodie an. Aber die Melodien sind aus Versatzstücken – Fertigbauteilen – Centones zusammengesetzt, die sprechpraktische Grundvollzüge nachzeichen (Zuruf, Frageton, Aussagebogen, auskostendes Verweilen etc.). Antiphonale Kompositionen sind oligotonisch.

syllabisch    Jede Silbe hat nur einen Ton (Rezitationen sind für viele Silben sogar nur ein einziger Ton)
melismatisch  Eine Silbe hat mehrere (viele) Töne, die Melodie ist "süß" (lat.: mel = Honig)
oligotonisch  Die eigentliche Form der klassischen Gregorianik (griech.: oligo- = wenig)

Die Offiziumsantiphon (AN) ist meist noch fast syllabisch komponiert, während die Communio (CO) und noch stärker der Introitus (IN) des Gradualrepertoires mit Mehrtonneumen angereichert sind.

AUTHENTISCHE GREGORIANIK

Das bisher vorhandene Repertoire wird unter Pippin und Karl erfasst, liturgisch geordnet, und nach einem einheitlichen Konzept redigiert. OF ? . So entsteht der Corpus an liturgischen Gesängen, den wir heute authentischen Gregorianischen Choral nennen. Im Alleluia und im Offertorium werden aber bereits die Grenzen von responsorial und antiphonal überschritten. Im Offertorium verschmelzen die beiden Stile, im Alleluia entwickelt sich, aus ältesten Quellen gespeist, eine vom Wort losgelöste „absolute“ Melodik; das Melisma wird zum Substrat der musikalischen Komposition.

karolingische Renaissance

Mit dem Aussterben der Karolinger 840 im Osten, 870 im Westen, muss man auch das Ende der Blütezeit des Gregorianischen Chorals ansetzen. Von nun an können sich regionale Varianten entwickeln, ohne durch eine Zentrale korrigiert zu werden.

Im Gegensatz zum in seiner Gesamtheit hell strahlenden Mittelalter, war das 10.Jahrhundert ein finsteres Zwischenspiel. Das „saeculum obscurum“ brachte eine tötliche Bedrohung für Europa aus drei Richtungen: Ungarn - Normannen - Islam.

Ganze Städte und Klöster wurden vernichtet, Staatssysteme brachen zusammen, kulturelle Traditionsstränge rissen ab. In dieser Situation entwickelte sich die Neumenschrift, um den bis dahin mündlich tradierten Choral vor dem Verlöschen zu retten. Die frühen adiastematischen Handschriften im 10.Jh notieren noch die Feinheiten der Interpretation, die frühen diastematischen Handschriften des 11.Jh können kaum mehr bloß den ursprünglichen Melodieverlauf retten. Hat doch inzwischen ein Stilwechsel in der Musik eingesetzt, ein Neuanfang, der durchaus vergleichbar dem Abbrechen der Renaissance/Barocktradition in der französischen Revolution, die Verbindung zur authentischen Gregorianik abreisst.

Die zweite Gregorianik beginnt weniger mit Neukompositionen, als vielmehr mit der melodischen und rhythmischen Uminterpretation der traditionellen Gesänge.

Zisterzienserreform

Musikalische Komposition

ZWEITE GREGORIANIK

Wesentliche Stilmittel sind nun:

PLORASIS

das systematische Auffüllen von Intervallsprüngen zu Tonleitern, Missa orbis factor KY (GT 748)

Ein weiteres Phänomen de Hochmittelalters ist das Auffüllen von Intervallen zu Tonleitern, der „Pleronasmus“ a.e.:7596

(vgl.: spätbarocke Kirchenliedmelodik zb.„Großer Gott wir loben dich“).

DO-REVISION

Schon im 10.Jh setzt die Ablösung des Tenor si durch die weniger spannungsvolle, bestimmtere Tenorstufe do ein. (RP 4 schon in H) Extremste Hs ist Ka. Um 1900 wurde dieser Entwicklung nicht historisch, sondern vor allem geographisch gedeutet und geht als „germanischer Choraldialekt“ in die Restaurationsgeschichte des 19. und 20.Jahrhunderts ein.

Allgemein ist eine Entwicklung von der kleinen TerzTonalität zur QuartTonalitat festzstellen („Auftaktquart“), die in Richtung neuzeitliche Tonika-DominantMelodik weist.

REPERTOIRE-ERWEITERUNG

In diesem Geist wird gleichzeitg das Repertoire durch neue Feste wesentlich ausgeweitet).

Trinitatis ist das Musterbeispiel für den Übergang zur zweiten Gregorianik. Noch ganz im Geist authentischer Formen und Centones, zeigt sich der Wille zu eigener, neuer Melodik, vide: 0506, 0506. Auch der Introitus, der nicht neu centonisiert ist, sondern einfach den IN Quad 1 nimmt und auf den Trinitatistext appliziert, passt in dieses Bild. Allerdings wird hörbar, dass sich der sprachliche Zugriff des IN „Invocabit“ 0083 zu einem musizierenden Aussingen der Töne wegentwickelt hat:IN „Benedicta sit“ 0007.

Die zweite Gregorianik ist wesentlich beeinflusst durch die bisher „germanischer Choraldialekt“ genannte Strömung, die grundsätzlich si-Rezitationen vermeidet und zum do revidiert und Tonwiederholungen durch Wechseltöne auflöst. Hauptzeuge dieser Entwicklung ist codex Klosterneuburg, wesentliche Zeugen dieser Entwicklung im Hochmittelalter sind aber auch Wc, die Zisterzienser und die Pariser Handschriften von Fossés (und weitere), was die Bezeichnung dieser Strömung am Vorabend des 1. Weltkrieges als „germanisch“, heute als zeitpolitisch eingeengt erscheinen lässt. Wir ziehen es vor, dieses Phänomen „do-Revision des Hochmittelalters“ zu nennen.

ÜBERSICHT der Hss

Grob zusammengefasst lassen sich drei Entwicklungsstufen vom 10.Jh bis ins 13.Jh erkennen:
a) Die Zustand des 12. Jahrhunderts, auf dem die Solesmenser Editionen beruhen nennen wir 2. Gregorianik. Sie ist geprägt von der do-Revision und der Plorasis, dem Auffüllen der Intervallsprünge zu Tonleitern.
b) Die frühen diastematischen Quellen (die aquitanische und die beneventanische Familie) die noch nicht der do-Revision anheimgefallen sind und somit die ursprüngliche Melodie erkennen lassen.
c) Die adiastematischen Handschriften, aus denen die fein artikulierte (= rhythmische) Gestalt, der stylus verbo-melodico ablesbar ist. Diese feine Artrikulation zeichnet den authentischen cantus gregorianus aus.

Manche neue Einsicht bietet die Kosultation der Zisterzienserhandschriften (Wm,Zw,Zt). Die Zisterzienser versuchten Anfang und 1.Hälfte des 12.Jahrhunderts den ursprünglichen Choral zu rekonstruieren und bieten damit einen Einblick in den status disputationis im 12.Jh (Das Sprechen von einem eigenen „ZisterzienserChoral“ seit dem 19.Jahrhundert ist damit obsolet).

Weiters ist oft aufschlussreich, wie Ka die Tradition von H in der 2.Gregorianik weiterführt (GJ Ka ist „H auf Linien“ und Wc dassebe tut für MR (Wc ist MR auf Linien).

Vor allem im bei den Responsorien lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen westfränkischer - und ostfränkischer Tradition feststellen. Dabei steht Benevent meist in der traditio occidentalis (MR + Wc Bv = frOc) und Aquitanien in der traditio orientalis (H + Ka + Aqu = frOr). Ein vorläufiger Vergleich der beiden Traditionen lässt durchaus den Schluss zu, St.Gallen hätte die ursprünglichere Tradition bewahrt, während der Westen neuen Strömungen gegenüber offener war. In diesem Blickwinkel wäre auch die Glosse Ekkehards zu Johannes Diakonus zu verstehen: G578 p.54

„Sed Romanum febre infirmum nos Sancti gallenses quidem retinuimus. Qui nos Karolo iubente edocuit, et antiphonarium e suo exemplatum in cantario, sicut Romae est, iuxta apostolorum aram locavit.“
„Aber Romanus, an Fieber erkrankt, blieb in St.Gallen zurück. Er hat uns entsprechend Karls Befehl unterrichtet und ein römisches Antiphonarium, eine Kopie seines eigenen, am Kantorenplatz beim Petrusaltar (in St.Gallen) hinterlegt.“

formale Komposition

verschieden alte Schichten und Kompositionstechniken machen den Gregorianischen Choral aus:

a) responsoriale Komposition 5.-7.Jh
b) antiphonale Komposition 7.-9.Jh
c) musikalische Komposition 9.-11.Jh
d) formale Komposition 11.-13.Jh

GREGORIANISCHER HISTORISMUS

Missa de angelis

Tridentinum

Orbis factor ?
Credo 3
Pothier Sanctus 10

GREGORIANISCHE RESTAURATION

Solesmes Prosper Gueranger
tradition vivante - tradition legitime Pothier - Mocquereau

Hist.Wissenschaft — Peter Wagner
Pius X

Paleographie - Semiologie
Modologie
Centologie

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