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neumen:neuma

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NEUMA

Eine Neume (griech.: Wink, das Zunicken) ist das Handzeichen, mit dem der Scholaleiter anzeigt, welche Art von Silbe zu singen ist. Eine Neume ist also eine Silbe, egal wie viele „Töne“ oder Stufen diese Silbe hat. Davon abgeleitet bezeichnet man das schriftliche Zeichen für eine Silbe als Neume, vor allem bei den adiastematischen Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts. Sobald die Neumen auf Linien gesetzt werden und ihre artikulatorische Aussage verlieren, ist die Bezeichnung der Noten als „Neume“ fragwürdig und eher museal.

Neumen werden üblicherweise nach ihrer Tonanzahl definiert, was nur dann sinnvoll sein kann, wenn die Töne gleich lang wären, wie es der Äqualismus des 20. Jahrhunderts (Solesmes) postuliert hat. Seit mit Hilfe der Neumen von St. Gallen und Laon der Äqualismus überwunden wird, und ein nicht taktierendes sondern sprechendes Singen Platz greift, das den Unterschied zwischen kurrenten und nicht kurrenten Neumen akzeptiert, sodass eine „episemierte Virga“ (Eintonneume) je nach Kontext sogar länger dauern kann als eine „Tristropha“ (Dreitonneume), ist die Tonanzahl als Maß der Neume obsolet. Die Tonanzahl einer Neume zum Maß zu nehmen ist so zielführend, wie das Gewicht der gesprochenen Silben nach ihrer Buchstabenanzahl zu werten. Wir gehen von den TONSTUFEN aus (und selbst das kommt bald an seine Grenzen).

EINE NEUME IST EINE SILBE, alle „musikalischen“ Vorurteile sind wegzulassen. Um Wittgensteins „a rose is a rose is a rose“ abzuwandeln: „Eine Neume ist eine Silbe ist eine Neume ist eine Silbe ist eine Neume“. Die Neume wird nicht durch das graphische Zeichen, seine „Noten“ - ihre optische Gestalt, sondern allein durch die zu sprechende Silbe - ihre Klanggestalt- definiert.

EINE NEUME BEGINNT NICHT MIT DER ERSTEN NOTE, SIE HÖRT MIT DER LETZTEN NOTE AUF.
Die Anregung zu diesem Axiom ging von L. Agustoni aus. Als er bei den Gregorianikkursen in Essen von seinem wohl missglückten Lehrbuch von 1963/1968 sprach, stellte er fest: „Aber ich habe darin nichts Falsches gesagt – außer dem einen Satz 'Eine Neume beginnt mit der ersten Note' – das ist falsch.“ Entgegen neuzeitlichem Denken haben wir frühmittelalterliche Strukturen (Melodien, Neumen) vom Ende her zu denken: „in finis iuducabitur“.

Einleitung Hradetzky-Marsch So wird Musik „modern“ gedacht: die musikalische Figur beginnt mit der ersten Note, mit der Note nach dem Taktstrich (????fehlt ein Tonbeispiel????). So ist die selbe Melodie „gregorianisch“ zu verstehen: die musikalische Figur hört am Schluss auf.

SINGEN SIE SCHMUTZIG, ERST WENN SIE SCHMUTZIG SINGEN, IST ES SCHÖN.
L. Agustoni hat mit diesem Satz bei den Gregorianikkursen in Essen ein grundsätzliches Problem zwischen romanischer und germanischer Denkweise angesprochen. Die Reaktion der deutschen Studenten ließ nicht lange auf sich warten: eine Minute vor Ende der Vorlesung, ein Entweder - Oder aus Zeitnot erzwingend, kam die Frage: „Ist das nun ein Ton oder nicht?“. Sprechende Melodien nach „Tonanzahl“ messen zu wollen (deutscher Klavierspieler-Zugriff), ist der falsche (neuzeiltich, technische) Ansatz. Stufen, egal mit welcher „Schmutzigkeit“ erreicht (italienischer Violinisten-Zugriff), sind der bessere Ansatz Sprachmelodien zu verstehen.

Das hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis der Quellen und ihre Interpretation,
das stellt das etablierte System der gregorianischen Begriffe (die opinio communis) in Frage
und erfordert einen völligen Neuansatz, basierend auf den Erkenntnissen von Eugene Cardine, Rupert Fischer, Luigi Agustoni und Godehard Joppich.


• Grundsätzlich ist bei der kurrenten (jeder) Neume der erste Ton schwach INITIO DEBILIS SEMPER. Dies entgegen dem romantischen Musikverständnis, wie es den Neumen Joseph Pothiers zugrundeliegt. Erst auf der Basis eines grundsätzlichen mehr oder weniger schwachen Anfangs jeder Neume,kann die spezielle Notation einer „Anfangsartikulation“ sinnvoll sein. Was beim Torculus specialis allgemein erkannt ist (wenn auch in der Praxis wenig rezipiert), ist auf alle mit Aufstieg beginnenden Neumen anzuwenden, speziell auf den kPes, aber auch auf den Torculus.

Quilisma und Oriscus sind zwei Zeichen, die in der Adistematie eine helfende Funktion anstelle der fehlenden Linien haben. In der Diastemie sind sie überflüssig. Die diastematichen Schreiber, im Dilemma kein Jota und Strichlein auslassen zu wollen/dürfen, übertragen die unverstandenen Zeichen Oriscus und Quilisma dann doch als Ton, wenn manchmal auch an ungewöhnlicher Stelle QUILISMA et ORISCUS NON SONENTI.

• Die „Liqueszenz“ hat nie einen (auch noch so kleinen) Nebenton. Die augmentative Liqueszenz breitet eine wichtige Silbe klanglich aus, die diminutive Liqueszenz kappt (zb. die weiterführende Clivis) und staut. Ihre Aufgabe ist es, gerade diesen zweiten weiterführenden Ton zu verhindern.

Diese drei Grundsätze unterscheiden unsere Restitution/Interpretation wesentlich von dem seit 150 Jahren gängigen Verständnis (opinio communis) davon, was Gregorianischer Choral sei.


EINSTUFIGE NEUMEN

Virga – Tractulus

In den St. Galler Handschriften werden grundsätzlich nur zwei Zeichen für den Einzelton verwendet: Virga (lat.: Zweig, Ast, Rute) und Tractulus (lat.: das kleine Gezogene).

Virga (Vrg): jeder höhere Ton / jede höhere Silbe

Tractulus (Trt): der tiefste Ton / die tiefste Silbe (ex parte post – ex parte ante = in Bezug auf den folgenden – den vorhergehenden Ton).


Vrg und Trt bei Hartker

Die Neumen sind aber kein Linien-Ersatz sondern Emotions-Notation. Daraus folgen ungewöhnliche Eigenarten.

Der tiefste Ton ist Tractulus, alle anderen Töne Virga, 0400 „captivi-tátem“ müsste also Tractulus sein, wenn diese Wort nicht das Schlüsselwort der Antiphon wäre, dazu noch die beiden Silben Akzent- und Schlusssilbe sind. Das Wort ist emotional gespannt, das kann nicht durch Tractulus dargestellt werden, daher doch Virga. Ebenso in 0383: „…et salvus ero domine“ = „…und ich werde gesund“.

Entgegen der gängigen Meinung über die St. Galler Handschriften hat Hartker sehr wohl eine unvollkommene Diastemie und setzt die Virga tiefer und höher, den Melodieverlauf darzustellen. Die Gefahr von Über- und Fehlinterpretation ist allerdings hoch. Bei gleich hohen Tönen vor dem Abstieg wird die letzte hohe Virga höher gesetzt, wie es ein guter Dirigent tut, der ein zu frühes Absinken der Stimme verhindern will „dóminus“. Bei „captivitatem plebis“ ist der gesamte Melodieverlauf aus den Neumen nachzuempfinden. Siehe auch 0383: „…et salvus ero domine“.

Diese Analyse könnte wetergeführt werden…

Vrg und Trt in Mont Renaud

Der Wechsel zwischen Virga und Tractulus geschieht nach den selben Regeln wie in St.Gallen. Mont Renaud zeichnet aber darüber hinaus den Tonhöhenverlauf durch längere und kürzere Virgen nach (unvollkommene Diastemie). Das gelingt zeitweise recht eindrücklich: „veniet“ - „alleluia“, manchmal nicht so sehr: „sancti eius cum eo“. Oder sollte die Verkürzung der Virga „cum“ gegenüber den vorhergehenden Silben „eius“ eine Rücknahme der Intensität anzeigen? Die Länge (?) oder Dicke des Tractulus zeigt sicher mehr oder weniger Gewicht der Silbe an: „veniet et omnes“.


Uncinus – Punctum – Virga


Gravis


Bivirga – Tristropha

Bivirga ist die nicht kurrente Form, die Tristropha die kurrente Form eines amplifizierten Tones.

Ist ein Strophicus (meist Tristropha) endartkuiert, so notieren wir das durch eine Rhomba an Stelle des letzten Strophicus.

Bivirga urgens MR

oben amplifizierter Pes - Bivirga emphatica 0894 „plenido“ MR schreibt die Bivirga grundsätzlich urgens. L geht dabei nicht selten mit 0989 „Et érunt“

Damit ist die Grenze zwischen einstufiger und zweistufiger Neume aufgeweicht. Wc hat für die Bivirga urgens eine eigene, durchaus auffällige Graphie, z.B.:7698


ZWEISTUFIGE NEUMEN

Pes (tief - hoch) und Clivis (hoch - tief) sind zweistufige Neumen, Silben die auf zwei Tonstufen gesprochen/gesungen werden, egal wie groß das Intervall ist (SekundPes, TerzPes, QuartPes). Sie sind die Elementarbewegungen der Musik (L. Agustoni).

Der Pes betont eine Silbe, regt auf, akzentuiert. (Pes, lat.: Fuß)

Die Clivis beruhigt, enttont, verbreitert und verbindet. (Clivis, griech: clínein: lehnen, anlehnen)


Die frühen adiastematischen Hss „artikulieren“ die Neumen, das heißt sie unterscheiden zwischen nicht kurrent (nk) und kurrent (k). Beim nkPes sind beide Töne gleich gewichtig, beim kPes ist der erste Ton leicht, machmal so leicht, dass er in verschiedenen Hss ganz wegfällt und nur eine Virga, der obere Ton, übrig bleibt (s.u.). Man könnte einen solchen kPes auch als „Virga urgens“ bezeichnen.

Auch die Clivis unterscheidet „nicht kurrent“ und „kurrent“, allerdings gibt ihr grundsätzlich beruhigender Charakter der normalen Graphie bereits einen ruhigen, mittleren Wert. Eine kClivis wird in H mit zusätzlichem c (celeriter) geschrieben (ca.30% der Fälle). Die nkClivis hat ein Episem, sie wird mit einem „Zusatzzeichen“ dargestellt. H notiert bei der Clivis also 3 Kategorien: kurrent - mittlerer Wert - nicht kurrent. MR kennt diese Unterscheidungen nicht: es gibt nur ein einziges Zeichen für die Clivis.

Die adiastematischen Hss des Graduale-Repertoire sind in ihren Möglichkeiten breiter gestreut. Neben den St.Galler Hss (statt H nun C+E) und MR (codex MR umfasst AN- und GR-Repertoire) geben uns auch L, Ch und das adiastematische Bv33, Zugriffsmöglichkeiten auf die gregorianische Artikulation, die ursprüngliche Sprechabsicht des Chorals.

Die ostfränkischen Hss = St.Galler Hss E (+C etc.) notieren durch „Veränderung des Zeichens“: rund = kPes, eckig = nkPes.

Die westfränkischen Hss L+Ch+MR verwenden „Neumentrennung“. Die zwei Töne werden als zwei getrennte Zeichen geschrieben.

Bv+Ang kennen nur ein einheitliches Zeichen (verbunden) für den Pes. Allerdings bedeutet bei ihnen die Einrundung des Zeichens eine Rücknahme des ersten Tons; der Pes hat schwachen Anfang, er ist „initio debilis“ , auf halbem Weg zur Eintonneume = Virga(urgens).

Das Episem beim kPes in E ist nicht wirklich eine Zusatzinformation, es ist Erinnerung an die ohnehin selbstverständliche Endartikulation.

Auch die Clivis unterscheidet „nk“ und „k“, allerdings gibt ihr beruhigender Charakter der normalen Graphie bereits einen ruhigen, mittleren Wert. Eine kClivis wird in H mit zusätzlichem „c“ (celeriter) geschrieben. Die nkClivis hat ein Episem. H notiert bei der Clivis also 3 Kategorien: kurrent - mittlerer Wert - nicht kurrent.

In L und Ch ist die Clivis klar in 2 Kategorien geteilt: kurrent = Aufstrich+Abstrich verbunden; nicht kurrent = zwei getrennte Uncini in L bzw. zwei Tractuli untereinander in Ch.

MR kennt diese Unterscheidungen nicht: es gibt nur ein einziges Zeichen für die Clivis,
ebenso in Bv+Ang.

in St.Gallen können neben der Artikulation noch Zusatzinformationen mitgeteilt werden: Langer Abstrich bedeutet ein größeres Intervall. Das Episem am Ende der (k)Clivis erinnert daran, nicht achtlos über die Clivis hinweg zu singen.

In L ist das augete zwischen den beiden Tönen eine bloß emotionale, nicht systematische Zutat.


PES


eintoniger PES


kPES

Das Problem

Eine der wesentlichen Konventionen der heutigen Musik (spätestens seit Klassik und Romantik) ist es, dass der musikalische Schwerpunkt auf 1, auf dem Textakzent, nach dem Taktstrich liegt. Dieses a-priori (Vorurteil) hat die Restauration des Gregorianischen Choral im 19.Jahrhundert bis heute geprägt; es gilt schon im Barock und der Renaissance nur eingeschränkt, gab es ja keine Taktstriche. Das Konzil von Trient (Palestrina, Editio mediceae), aber auch bereits die Zisterzienserreform des 12.Jahrhunderts stoßen sich daran, dass wichtige Silben nur auf einen Ton zu singen sind, während Nebensilben mehrere Töne tragen. Was die Zisterzienser vorsichtig und ansatzweise tun, wird in der Editio medicaea konsequent und brutal zu Ende geführt: die Melodien werden dem Musikverstand der Zeit und dem Text wie man ihn damals betonte entsprechend angepasst. Nicht nur, dass im Frühmittelalter hebräische Namen noch auf der Endsilbe betont wurden (Jerusalém) ist auch der Pes zum „mi“ allein durch den Zielton „mi“ bestimmt (0039). Der erste Ton des kPes ist so leicht, dass er nur als ein „portamento“, ein Anschleifen, keinesfalls als fixer Tonort darzustellen ist. Wäre er mehr, würde das Wort „Ierulem“ heißen. Bestätigt wird diese Sicht der Neumen durch den kPes auf der Binnensilbe des Proparoxytonon (PPO).

Der kPes auf der Binnensilbe des PPO

Vor allem am Ende von Sätzen, aber auch in Binnenposition werden die Binnensilben des PPOs (z.b.: dó-mi-nus) mit einem kPes versehen. Wenn der erste Ton des „kPes“ so gesungen wird, wie es heute üblich ist: der erste Ton trägt das Gewicht der Silbe/Neume, so ruft und rief es die berechtigte Kritik der Zisterzienser und des Tridentinum hervor: „do--nus“ ist des zum Klang gekommenen Wort Gottes unwürdig. Nicht das Wort Gottes ist im Gregorianischen Choral schlecht vertont, sondern unser musikalisches Vorverständnis entspricht nicht dem 1.Jahrtausend.

Eine Neume/Silbe beginnt nicht mit der ersten Note, sie hört mit der letzten auf

Der kurrente Pes ist in diesen und anderen Kontexten bloß ein portamento das die Vernachlässigung der Binnensilbe verhindern soll (beachte im französischen „dominus“, das wenn nicht Gott gemeint ist, längst zu „domnus“ reduziert ist). Quer durch die Handschriften werden Proparoxytona (PPO) in rezitierenden Kontexten, das sind vor allem die Schlüsse, auf der Binnensilbe systemlos, ganz beliebig mit Einton oder mit kPes versehen.

Die Antiphon 0733 wird in einer der ältesten Handschriften, in MR, zweimal notiert: Die Binnensilbe des letzten Wortes „vocá-bi-tur“ wird einmal mit kPes, einmal mit Virga notiert. Die Austauschbarkeit/Beliebigkeit der beiden Zeichen im gegebenen Kontext ist offensichtlich. Unser moderner, schriftfixierter Ansatz …..

Der kPes/Virga urgens als Akzent auf einer Rezitation

Pes 1-3TonNeume

Virga urgens Bivirga urgens cf.: 0945 L + MR.

nkPES

Beide Töne haben Gewicht.

Pes disgregatus z.B. 1280

Der Oriscuspes (Pes quassus) ist ein nkPes,

ein- bis dreitoniger Pes

Die Tonanzahl ist kein adäquates Maß die Neumen/Silben zu erklären, die Anzahl der Stufen schon: Der Pes ist eine zweistufige Neume/Silbe nach oben, ein- bis dreitönig.


CLIVIS

Die Clivis (Clv) griech.: clinein: anlehnen, lehnen, sich neigen

Clivis terminatio debilis cf. IN 2.tonos der Psalmodie in den Bv Handschriften die zweite Silbe.

Clis initio debilis in L und Ch, aber vide 0520 „ex-au-di“.Hier kann die Graphie (ähnlich/gleich?) nur eine Clivis liqueszens sein.


DREISTUFIGE NEUMEN

SCANDICUS

Der Scandicus (Sca) ist ein übersteigerter, verlängerter und damit verstärkter Pes, eine weitere Akzentneume. Die drei aufsteigenden Stufen

Der kurrente Scandicus (Sca–3) wird in G immer als Salicus geschrieben, der mittlere Ton ist ein Halbkreis, ein sehr reduzierter Oriscus. Damit ist der (leichte) Schwung nach oben ausgedrückt. Allerdings gibt es auch einen nkSalicus (Sal123). L schreibt hier meist einen gewöhnlichen Scandicus (Pkt-Pkt-Vrg), in wenigen besonderen Fällen aber auch den aufwendigen Oriscus (Pkt/Unc-Osc-Vrg). Ch+Ang schreiben grundsätzlich nur Scandicus, wie auch ein Unterschied zwischen k und nk nicht auszumachen ist. MR schreibt Salicus.

Ein besonderer Fall ist die Quintintonation des 1.Modus. Beim Sca-23 (re-la-si) ist der erste Ton so leicht, dass er wie im kPes sogar entfallen kann. Das bestätigt Ang. Ist durch praetonische Silben das „re“ bereits etabliert, so verwendet Ang für den Akzent eine besondere Neumengraphie: Oriscus mit angebundenem kPes (0491). Fehlen praetonische Silben, so schreibt Ang wie alle anderen auch Pes (0026).

Zum Salicus ist zu sagen: in gewisser Weise steht der Orisus für einen Nicht-Ton!?

cf.0303,


TORCULUS

Torculus (Trc) (lat.: torquere: umkränzen, umwinden, schmücken) wird die Bewegung tief - hoch - tief genannt, egal welche Intervalle anfallen.

Wie der Pes geht er leicht zum zweiten Ton, wie die Clivis führt er die Energie des Gipfels ruhig zum Ende. Er wird nicht selten auch als „Pes flexus“ bezeichnet, um die Leichtigkeit des Einstieges gegenüber dem ruhigen Ausklang auszudrücken. Die Eigenschaften des kPes bedenkend, wäre „Clivis urgens“ vielleicht der bessere Name. Denn auch beim Torculus, wie beim kPes, ja sogar noch häufiger, entfällt in bestimmten Konstellationen in der einen oder anderen Handschrift der erste Ton und es bleibt eine Clivis (Clivis urgens) über.

Es ist bezeichnend für das a priori unseres Denkens, dass der Torculus zwar öfters schon als „pes flexus“ bezeichnet wurde, vom Beginn her gedacht, aber bisher nie als „clivis urgens“, vom Ende her bezeichnet wurde. Es wird noch eine gewaltige Wende in unserem gregorianischen Denken nötig sein, bevor wir dem Ansatz L.Agustonis wirklich gerecht werden „Eine Neume beginnt nicht mit der ersten Note, sie hört mit der letzten auf“.


Der Torculus ist die Schmuckneume schlechthin. Er breitet eine Silbe aus. Das kann eine Akzentsilbe sein, dann wird der Torculus kurrent (kTrc) notiert. Das kann auch am Satzende die vorletzte Silbe sein, um den Satz abzurunden. Dann ist es immer ein nicht-kurrenter-Torculus (nkTrc). Das Graduale Romanum notiert das in der Quadratnotenschrift mit waagrechtem Episem. Unsere Quadratnoten verwenden dieses Episem nicht, die supralinearen St.Galler Neumen erfüllen diese Aufgabe.

MR unterscheidet nicht zwischen kTrc und nkTrc.

Beide Antiphonal-Handschriften (H+MR) haben allerdings ein eigenes Zeichen für den Torculus initio debilis. In H ist der Mittelteil des kTrc lang gezogen (tracée); in MR ist der erste Ton eingerundet. In unserer Quadratnotenschrift wird dieser erste schwache Ton leer (weiß) geschrieben.

In allen Handschriften steht die verbundene Schreibweise für kTrc. Der nkT ist in C+E durch Ausschwingen der Schreibbewegung dargestellt, L schreibt getrennt drei Uncini. Der nkTrc in Ang wird durch rechts aufsteigenden Schlussstrich dargestellt. MR und Bv unterscheiden nicht zwischen k und nk.

Der Torculus initio debilis ist in C mit langezogenem Mittelstrich dargestellt, in E durch tenete (t) oder Episem auf dem zweiten Ton, dem Gipfel des Torculuszeichens dargestellt.

L und MR verwenden die Einrundung des ersten Tons, um initio debilis darzustellen. Ch schreibt den nkTrc mit Neunentrennung nach dem ersten Ton, was der Graphie von Torculus initio debilis entspricht.

Die ausdrückliche Notation der Endartikulation des Torculus in C + E durch Episem und in L durch „t“ tenete ist nur eine Wiedererinnerung. Das doppelte Episem in C steht an genau jenen Stellen, die in der Praxis („nicht schon wieder vergessen“) regelmäßig vergessen werden. Die Intervalle werden durch längere und kürzere Striche in etwa dargestellt in Ang und Bv.

In Bv zeigt ein waagrechter Anstrich an, dass der Ton zuvor tiefer oder gleich hoch ist. Ein fallender Anstrich weist auf einen höheren Ton zuvor hin. Die Graphien von Bv sind mehr an Melodienverläufen interessiert, als an Artikulation.


Torculus mit Anfangsartikulation

Torculus initio debilis (Trc i.d.) - Torculus specialis

Die adiastematischen Neumen der St.Galler Handschriften notieren weniger Tonhöhen, als vielmehr den Tonwert der Neumen/Silben. Wie dieser Tonwert zu verstehen ist, war 100 Jahre Streitpunkt der Wissenschaft. Wo Solesmes sich mit der Zählmethode von Solesmes in die „egalité aller Töne“ flüchtete, und die zünftige Musikwissenschaft sich in Modelle proportionaler Erklärungsmodelle (Viertel,Achtel,Halbe) flüchtete, erkannte Eugene Cardine als erster den Silbenwert der Töne und Neumen. Um proportionales und egalistisches Vorverständnis a priori auszuschließen, sprechen wir heute im Choral von „Artikulation“ an Stelle von Rhythmus.

Cardine machte ernst mit dem Begriff Neume = (erklingende) Silbe. Neben unterschiedlichen Graphien des Torculus gibt es auch wenige Fälle wo auf einer Silbe drei Töne tief - hoch - tief aus Tractulus und Clivis bestehen. Die Metanioa bestand darin, die Graphien „Tractulus und Clivis“ wenn sie auf nur einer Silbe stehen als „Torculus mit Neumentrennung nach dem ersten Ton“ zu verstehen.

So konnte Cardine formulieren (zum ersten Mal mündlich in Klosterneuburg 1968):

Die Artikulation einer Neume kann dargestellt werden durch
1) Zusatz von Zeichen
         a) Episeme  
         b) Buchstaben
2) Veränderung des Zeichens
3) Neumentrennung

Damit war der Weg frei, auch Handschriften wie L oder Ch zu verstehen, und sich von der Zählmethode von Solesmes (eine Neume beginnt immer mit der ersten Note) und proportionalen Methoden (Viertel, Achtel) zu lösen. Dieser neue Zugang wurde von Cardine „Semiologie“ genannt.

Clivis urgens = Torculus initio debilis (-Pes flexus)

Der Torculus initio debilis (mit schwachem Anfang, oft einfach Torculus specialis genannt) besser als Clivis urgens bezeichnet, wird in drei speziellen sprachlichen (elucotorischen) Kontexten verwendet. Als
• Akzentvorbereitender Torculus, (parans accentum) „Trc par“ als
• Wortartikulationstorculus oder (verbum finiens) „Trc fin“ als
• Intonationstorculus, einen Satz eröffnend (sententiam intonans) „Trc int“.

den Akzent vorbereitend

(accentum parans) Trc par liegt der Torculus auf der Silbe vor dem Akzent und erzeugt jenen Stau, der den folgenden Akzent provoziert. Er ist immer ein Sekund-Sekund-Torculus und liegt zwischen zwei Tönen im Abstand der großen Terz (fa-la oder sol-si). Einsiedeln setzt grundsätzlich das Wissen um den Trc i.d voraus, nur selten ist eine Verlängerung des zweiten Neumenelements zu erkennen. Im Fall des Introitus (IN) „Misereris“ 0107 weist das „altius“ auf die akzentvorbereitende Position hin. Das „mediocriter“ soll allzuviel Emphase verhindern. Chartres reduziert die Neume zur Clivis (Clivis urgens). Laon, Benevent und auch Mont Renaud haben ein eigenes Zeichen für „initio debilis“: die Einrundung des ersten Element schwächt diesen Ton.

Der „Spezialtorculus“ ist also eine Zwei-bis-drei-Ton-Neume. Offensichtlich ist die Anzahl der Töne nicht geeignet, eine Neume zu definieren. Denn ob eine Clivis geschrieben wird, oder ein Torculus spezialis oder ein gewöhnlicher Torculus ist die Eigenart einer jeden Handschrift. Ob beim Erklingen der erste Ton einen fixen Tonort hat, so könnte man das altius in E deuten, oder zum Portamento mit unbestimmter Tonhöhe wird, oder ganz entfällt, ergibt sich aus der Persönlichkeit und Stimmungslage des jeweiligen Sängers.

Die Handschriften sind in ihrem Vorgehen keineswegs systematisch. In der CO „Viderunt omnes“ schreibt L die Clivis, E kTrc, nur Ch kennt keinen Torculus specialis und notiert meist Clv, manchmal kTrc.

ein Wort artikulierend

(verbum finiens) Trc fin Wortartikulation bedeutet das sorgfältige Absprechen eines Wortes, es im Nachhinein zu seinem Wert kommen zu lassen.

„Nótas) mihi fecisti“: „Bekannt) hast du mir gemacht“. Einsiedeln schreibt den Trc specialis mit tenete auf dem zweiten Ton (Torculus mit vorbereiteter Endartikulation -23). Auf „fecísti“ folgt ein kTrc: Akzenttorculus –3. Im IN „Accipite“ folgen drei unterschiedliche Torculi unmittelbar aufeinander. Der Wortende-Torculus (Wortartikulations-Torculus) beschließt mit viel Elan die Stelle. Der Akzenttorculus davor wird wiederum mit dem akzentvorbereitenden Torculus „ Iocun-di-tátem“ vorbereitet.

Der emotional hochgestimmte Beginn der CO „Pater si non potest“ (Palmarum) zeigt die unbestimmte Tonhöhe des portamento auf. Schon ab dem 11. Jh. (Albi aquitanisch) heben sich der erste Ton des Halbtonpes und des Artikulationstorculus zum unisonischen do. Sollte schon im 11. Jh. beim Übergang von rhetorischem zu musikalischem Zugriff auf die Melodien auch eine Neume nicht mehr mit dem letzten Ton aufgehört, sondern mit dem ersten begonnen haben? Bedenkt man die auch heute noch anzutreffende Singpraxis, mit dem ersten Ton zu beginnen, so ist die jüngere Melodienotation richtiger als eine falsch interpretierte „Originalmelodie“.

vide et: 0070 „petitiones vestrae“, 7363 „per totum mundum“.

Intonationstorculus / einen Satz eröffnend

(sententiam intonans) Trc int Der Intonationstorculus eröffnet einen Satz schwungvoll. Leichter Quartaufschwung, semitonaler Rückschwung. Vor allem in Tetrarduskontexten, aber auch im Protus erscheint der Intonationstorculus. Er bildet im 7. Modus die typische Intonation.

zur Rezeption der Clivis urgens

Auf die Frage, wie denn nun ein Torculus specialis / eine Clivis urgens (Namen sind Festlegung eines a priori/eines Vorurteils) gibt es drei Antworten

a) Der erste Ton fällt aus, oder nicht (JBG). Das passt nicht in die so einheitliche Tradition der gregorianischen Melodien.

b) Der erste Ton wird ganz bewusst kaum gesungen (GJ). Psychologisch gesehen ein Widerspruch in sich. Dieser Satz erinnert an den Blick des Kaninchens auf die Schlange. In der Praxis wird dann der Ton zwar kurz, aber sehr pointiert gesungen.

c) Laon und Mont Renaud, aber auch Chartres verwenden eigene Graphien, die Leichtigkeit des ersten Tones darzustellen (initio debilis).

Welches Phänomen liegt vor sprachlich / akustisch / musikalisch, wenn die einen Handschriften einen Ton schreiben, die anderen aber nicht, die dritten sogar ein Spezialzeichen erfinden? Könnte es nicht jener „portamentoartige Gleitton“ sein, den Agustoni/Göschl dem Quilisma zu Unrecht zuschreibt? Könnte nicht der Torculus specialis (der Pes flexus) eigentlich eine Clivis sein, die von unten her „portamentoartig“ angeschliffen, österreichisch formuliert „angeraunzt“ wird (Clivis urgens)? Steht uns nicht unser Vorurteil, die Neumen vom Anfang her zu benennen im Weg? Warum heißt der Torculus auch Pes flexus, aber nicht besser „Clivis portamentata“ oder „Clivis inaugurata“ oder „Clivis emphatica“ (Wir haben uns letztendlich auf „Clivis urgens“ festgelegt) ?! Ist dieses Phänomen nicht auch bei der Bivirga zu sehen? Ja, ist es nicht für den kPes hundertfach (auch tausendfach wäre wahrscheinlich nicht übertrieben) konstitutiv. Nennen wir dieses Phänomen „portamento“.

Der Intonationstorculus der Psalmodie im 7.Ton (Tetrardus authenticus) kann also eine Dreitonneume sein, sich zur Zweitonneume reduzieren, oder (initium debilis und Liqueszenz bedenkend) zum eintonigen Cephalicus reduzieren. In E ist grundsätzlich der erste Ton (sol) entfallen; je nach Text stehen Clivis oder Cephalicus, die Zisterzienserreform (Zt) geht dabei mit. Bv, A+Y, Mod, Ang schreiben immer den vollen Intonationstorculus aus. Kl schreibt nur einen Ton, vermeidet die Tonwiederholung und eröffnet die Psalmodie mit „si“ und „do-re“. Leider haben die deutschen Benediktiner in ihrem dt.Antiphonale diese Form gewählt und nicht das richtigere „do“ - „do-re“.
Ein schönes Beispiel für die ganze Problematik ist das späte AL 1660 bei „mundi crimina“. Nur Benevent und Modena tradieren dieses Alleluia. Mod mit vollem Intonationstorculus, Bv mit Cephalicus, dessen Graphie unter keinen Umständen einen zweiten Ton zulässt.


Torculus k – nk

Akzenttorculus k

Steht der Torculus am Wortakzent (verbum accens Trc akz, so ist er immer ein kurrenter Torculus (kTrc).

In 0001 „iucun-di-ta-tem“ folgen Trc par - akz - fin unmittelbar aufeinander. Der Trc akz ist ein kTrc.

aber: 0045,1152,0110

Torculus am Satzende nk

Schließt ein Torculus einen ganzen Satz, ein ganzes Stück ab, so ist er immer ein nicht-kurrenter Torculus (nkTrc) und steht ohne Rücksicht auf Akzente auf der vorletzten Silbe (Torculus sententiam terminans Trc ter).

0002 „erubescam“, „non confundentur“, 0034 „usque in saeculum“


2-4 toniger Torculus

G0480 „proxi-mae“

0861 etc.


PORRECTUS

Der Porrectus (porrigere - lat.: wieder aufrichten) (Prr) ist eine Dreistufenneume hoch-tief-hoch.
Anders als der Torculus verbreitert der Porrectus eine Silbe kaum, er streckt sich auf die nächste hin aus, er treibt weiter (WS).Man könnte ihn ein in Melodie umgesetztes statim nennen: obwohl er abrundet, treibt er noch mehr weiter. Obwohl der Porrectus grundsätzlich eine kurrente Neume ist, verlangt der Kontext in wenigen Fällen (ca.10%) einen ruhigen, nicht-kurrenten Vortrag der Neume.

In den Hss wird sie oft mit Oriscus eingeleitet (Pressus resupinus)

0061


CLIMACUS

Der Climacus (Clm) ist eine Dreistufenneume hoch - tief - tiefer. Er ist eine erweiterte Clivis und beruhigt, rundet ab, verbreitert.

Exsultet Präfation!


VIERSTUFIGE NEUMEN

Hat eine Neume mehr als drei Stufen, so bleibt bei Scandicus und Climacus der Name derselbe. Man spricht dann eben von einem 4stufigen Scandicus (4Sca) oder einem 5stufigen Climacus (5Clm). In den anderen Fällen wird mit den Begriffen flexus und resupinus erweitert (seit langem schon wird der Torculus (3 Stufen: tief - hoch - tief)) auch als „Pes flexus“ bezeichnet, um seinen gleichzeitig betonenden (Pes) - und ausbreitenden Charakter (Clivis) zu beschreiben: ein Pes wird nach unten gebogen (flexus).

Geht eine Erweiterung (ab-: flexus oder auf-: resupinus) zwei oder mehr Stufen in die selbe Richtung, so wird aus flexus (flx) ⇒ subpunctis (sbp) und aus resupinus ⇒ suprapunctis (spp). Das Quilisma ist kein Ton und zählt daher nicht.


Torculus resupinus

Der Torculus resupinus (Trc res)


Porrectus flexus

(Prr flx) vide 0025

Der Porrectus flexus, die „Doppelclivis“ , sorgt klar für Enttonung.

GJ 8.3.98 hier ist keinerlei Betonung. Bewußtes Enttonen, ohne die Stimme fallen zu lassen; die Tonhöhe halten, aber ent-tont. 17/3


Pes subpunctis

Der Pes subpunctis (Pes sub) ist ein Torculus (Pes flexus), der in der selben Richtung weiterführt. Elucotorisch bezeichnet diese Neume ein nachdenkenswertes Wort. GJ umschrieb die Bedeutung dieser Neume mit „ihr werdet euch noch wundern“ und „darüber könnte man eine ganze Predigt halten“. Weiterer Fall 0335.

…4 kurrenter Pes (kPes)
..34 Pes mit vorbereiteter Endartikulation
.234 (eigentlich ein Climacus urgens - Clm urg)
1234 nicht kurrenter Pes (nkPes)
1..4 anfangsartikulierter Pes
.2.4 am Gipfelton artikuliert
12.4 (entspricht der Standardschreibung im GR)
1.34 ?
..334 cf.: CO Dominus dabit (0634) „da-bit frúctum“

Man könnte die Endartikulation grundsätzlich notieren, wie L und vor allem Ch das tut, und wie wir es auch bei —4 tun, das würde aber die Lesbarkeit der Quadratnoten erschweren .

Die Artikulation der Neumen, die in L und E (C) eindeutig zu lesen ist, wird bereits in Ch weniger präzise. In Bv33 ist nur noch die Anfangsartikulation eine eigene Graphie und auch die ist nicht konsequent verwendet.


Clivis suprapunctis

Die Clivis suprapunctis (Clv spp) ist eigentlich ein akzentuierter Porrectus, ein Porrectus (beschleunigend), der um eine Pesbewegung erweitert, am Ende betont wird.


Scandicus flexus

Der Scandicus flexus (Sca flx) ist…


Climacus resupinus

Der Climacus resupinus (Clm res) ist eine eher seltene Neume (12 Fälle im AN-OFF) und gehört zum Protus. Grundsätzlich ist sie kurrent, in 2 Fällen aber anfangsartikuliert.

Der Climacus resupinus hat eine fest umrissene elucotorische Aufgabe. Er steht auf der letzten Silbe vor dem letzten Wort eines Satzes, wenn dieser den Haupt/Zielakzent trägt.

Am Schluß eines Sprachbogens kann auch der Zielakzent nur tief liegen. Seine Wichtigkeit hörbar zu machen, hebt sich die Melodie kurz vorher an und staut (im Climacus resupinus), bevor der Akzent meist im Satzende-Torculus auf der Finalis erreicht wird.


FÜNFSTUFIGE NEUMEN


applicatio = circulatio

applicatio = Zuneigung


applicatio PR

Clivis suprapunctis flexus (Clv spp flx)

Diese Fünfstufenneume

Die formale Eingrenzung dieser Neume ist schwierig. In ihrer Grundform ist sie 5tönig, eine kurrente Clivis suprapunctis flexus, die jedoch in MR meist als Porrectus flexus 4tönig mit Quilisma notiert ist.

Auch H kennt diese Notation 1899, 1900), dann aber immer mit episemierten Clives. Man kann also annehmen, dass vergleichbar Bivirga und Tristropha hier eine kurrente und nicht kurrente Form der selben Neume vorliegt: die selbe Dauer bei unterschiedlicher Schwere 0055.

Die Neume kann aber auch eine kurrente Bewegung, ein portamento vorgesetzt haben: „applicatio urgens“, wohl ein unisonischer Anschluss zum vorherigen Ton. Ob dieser unisonische Anschluss auch in der Mediatio der 2.Zeile der O-Antiphonen gilt, ist nicht zu belegen. Einige Male wird die Neume auch auf zwei Silben aufgeteilt.

In Antiphonen des 1.Modus (PR1) steht sie am Ende des Cento INC 5Pes, wenn die Rezitationsebene „la“ heruntertransformiert wird zum „sol“. Die „Clivis suprapunctis flexus“ ist dann erweitert zur 6tönigen „Clivis suprapunctis subpunctis“. Auch hier ist die Frage zu stellen, ob der Oriscus am Ende ein eigener Ton sein soll, oder bloß Signal, einen neuen Cento zu beginnen. Das vorliegende Beispiel 0776 ist durchaus repräsentativ: Fast alle schreiben ein 7. Zeichen, die meisten ein Oriscus-Zeichen (!?). In Kl und Bv21 hat die Neume nur 6 Töne (!).

Auch die Namensgebung ist schwierig. Die formelhafte Verwendung der Neume im 1.Modus INC 5Pes verbietet für GJ eine emotional relevante Benennung. Er nennt sie „Urmelisma“. Uns erscheint sie jedoch sehr wohl auf eine emotionale Hinwendung zu einer Person oder Sache hinzuweisen. Wir nennen sie daher „applicatio“.

In MR ist diese Neume nicht selten mit Clv und Trc i.d. notiert 0045 „in con-spec-tu tuo“. Das spricht ebenfalls für die Kurrenz.


applicatio TT

Die NMA appl (Neume der Zuneigung), die auch im PROTUS vorkommt, ist konstitutiver Bestandteil des 8NOV princ.


Pes subpunctis resupinus

(Pes sbp res)


Scandicus subpunctis

(Sca sbp)


SECHSSTUFIGE NEUMEN


Sca sbp res

Pes sbp res flx

Trc+Trc mit Osc verbunden

1028 „me“


neumen/neuma.1568386310.txt.gz · Zuletzt geändert: 2019/09/13 14:51 von xaverkainzbauer