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Die Zusatzbuchstaben sind angeblich im 9.Jh durch den römischen Mönch Romanus(!) ins Frankenreich gebracht worden, daher ihre Bezeichnung als „Romanus-Buchstaben“. Die Litterae significativae gehören zu den adiastematischen Handschriften und werden exzessiv in den St.Galler Handschriften benützt (Hartker). In den Quellen des Messrepertoires verwenden Laon und Chartres die litterae significativae ebenfalls, aber seltener als St.Gallen (Einsiedeln, Cantatorium etc.); Mont Renaud kennt sie nicht (kaum).
Ihre Einteilung in melodisch relevante und artikulatorisch relevante „litterae“/Buchstaben ist problematisch, da ihre Verwendung vielschichtig ist.
celeriter
Das celeriter verhindert das Ausbreiten einer Neume: c = gehe weiter, verweile nicht.
Bei der Clivis ermöglicht es, drei Kategorien darzustellen: kurrent (mit c), mittlerer Wert (ohne Zusatz), nicht kurrent (episemiert). Während der grundsätzlich impulsive Pes mit zwei Kategorien auskommt, kurrent (rund in H - verbunden in MR) oder nicht kurrent (eckig in H - unverbunden in MR), wird die grundsätzlich ruhige Clivis in drei Kategorien dargestellt: die normale Form stellt den mittleren Wert dar, episemiert ist die Clivis nicht kurrent, soll die Clivis flüssig gesungen werden, bekommt sie ein „c“ = celeriter. In circa einem Drittel der Fälle hat die Clivis diese Form. MR kennt diese Unterscheidungen nicht, es gibt nur eine einzige Graphie der Clivis.
celeriter - statim - exspectare
Steht das „celeriter“ am Centoübergang, so zeigt es einerseits den Beginn eines neuen Cento an, für eine notenlose Gedächtniskultur sehr hilfreich, andererseits legt es abwechselnd mit „statim“ und „exspectare“ fest, in welcher Sprechlogik die Antiphon vorzutragen ist, wo Satzteile zu verbinden sind „c“, wo die Teile klar voneinander zu trennen sind „x“ und wo ein Satz ruhig abzurunden ist, dann aber sofort (statim) weiter gesprochen werden soll „st“.
Zwei Beispiele, die ähnlich strukturiert sind (INC Vrgstr = Vorspann + BIN triff + TER) aber sehr unterschiedlichen „Sprachstress“ aufweisen:
0269 „Laverunt stolas suas / et candidas eas fecerunt in sanguine agni.“ der zweite und dritte Teil des Textes fließen in einem, ungegliedert zum Schluss.
0048 „Levabit dominus signum /x in nationibus /x et congregabit dispersos israel.“ Die Teile stehen jeder für sich selber (2x exspectare!).
1328 wird innerhalb der Antiphon ein zweiteiliger Ablauf wiederholt (INC Clv + TER de5): „Iohannes et paulus / dixerunt ad iulianum + Fac votum deo caeli / et eris victor (st) melior quam fuisti“ Die Wiederholung der TER de5 wäre problemlos anwendbar, der Wille nach „victor“ zu gliedern aber nicht abzubrechen, ändert auch den Cento TER de5 in = BIN triv + TER de3.
Auch außerhalb des Centoüberganges kann die Sprechlogik ein „statim“ verlangen.
1061 „Die Frauen saßen am Grab und weín ← ten schrecklich, um den Herrn“.
1360 „Bonum certamen certavi, cursum consummavi fidem servavi“ Das celeriter auf der ersten Silbe verhindert eine falsche (den gúten Kampf…), sinnverzerrende Betonung: „ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf volléndet, den Glauben bewáhrt.“
Weitere Beispiele für c - st - x im Centoübergang und im Centoinneren:
c | celeriter | schnell, ohne Gliederung weiter | 0018, 0242, 0269 | ||
st | statim | abrunden, dann gleich weiter | 0033, 0205, 0008 | 0006, 0034 | |
x | exspectare | abschließen, stark gliedern | 0030, 0048, 0004 | 0059, 1552 |
tenete
Während „x“ eingesetzt wird den Text zu gliedern, ist „t“ tenete/tenere der Buchstabe der das Aushalten/Erweitern einer Silbe/Neume einfordert, durchaus dem Episem entsprechend (siehe oben 1328).
Das exspectare steht also zwischen zwei Silben, Wörtern oder Centones, das tenete auf einer Silbe/Neume.
Häufig steht das tenete bei Liqueszenzen und verstärkt deren klangerweiternde Funktion.
Unter dem Köpfchen der Liqueszenz können nur zwei Buchstaben stehen: sursum oder inferius.
sursum fordert viel Klang ein, während inferius einen eher lautlosen Stau fordert.
altius - inferius
s sursum 0666 sc „sursum corda“ emotional verstanden l levare 0749 0274 s+l 0319 s+l rein melodisch zu verstehen a altius 0018 2.mal MED
i inferius 0028, 0274
In der Formel „vocatio“ ist grundsätzlich mit unisonischem Anschluß des Binnenpes zu rechnen. Daher sind kPes mit a in Binnenfunktion bemerkenswert
0939 „deprecat-i-ó-nem“„ 0941 „e-go áutem“
1935 „et ab-issos“
aequaliter inferius
1053 „Ibi“ Anschluss an das vorhergehende „alleluia“ , das auf „mi“ endet. Ein Hinweis auf den folgenden QuintPes „re-la“. Das „re“ ist gleich hoch dem „mi“, aber tiefer! Entgegen der verbreiteten Eröffnung mit „sol“ (Kl, A, Bv35).
mediocriter - parvulum
Mediocriter und parvulum sind litterae significativae, die einen andern Buchstaben in seinem Gewicht zurücknehmen oder modifizieren. Aber auch ohne einen anderen Buchstaben können sie in einem bestimmten Kontext eine Neume interpretieren.
m mediocriter 0274 cm 0547 cm 0547 am altius mediocriter 0028
p parvulum 0307
v = valde = sehr 0114 “sem-per„
iv = inferius valde = sehr tief 0107 „e-o-rum“
co = coniunguntur, coniunctim = verbunden
Was Agustoni/Göschl uninterpretiert als (seltenes) Beispiel im GR-Repertoire bringen 0234 “su-um„, 0177, „vir-tu-te“, ist im RP-Repertoire eine häufige Buchstabenkombination. Ausnahmslos kommt sie beim Pressus vor, eine Reperkussion des Oriscuszeichens verhindernd.
Man könnte den Eindruck haben, der Recluse Hartker notiert verzweifelt gegen seine Mitbrüder, die nicht mehr den ursprünglichen Sinn des Oriscus kennen und ihn als eigenen Ton verstehen.
pfect = perfectum = vollkommen, mit großer Sorgfalt 0634 „fruc-tum“
placuit Höpli s.VIII, plus Höpli s.XV. 0681 L „ser-vo“
? 0557 „et exsulta-te“