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Erkenntnisse

Gregorianischer Choral war nicht allzeit ein und dasselbe.

Die Rezeption des 19.Jh und anfänglichen 20.Jh ging von einem durch alle Jahrhunderte unveränderlichen, von Rom kontrolliert uniformen Cantus Gregorianus aus, der in der Editio Romae typis vaticanis 1908 seine unveränderlich ewig gültige Form gefunden hätte: Das typische Weltbild des 19.Jh.

Tatsächlich ist ein CG mindestens seit den liturgischen Reformen der Päpste vor und mit Gregor (+604) vorhanden, mit der Übernahme ins Frankenreich seit 754 unter Pippin und Karl d.Gr. einheitlich redigiert (Chrodegang von Metz?) und nach dem Ende der Karolingerdynastie(n) 840/870 weitertradiert und spätestens seit dem 10.Jh nach „modernen“ musikalischen Aspekten zur 2. Gregorianik umgewandelt worden. Sehr früh sind zwei differenzierende Traditionsstränge erkennbar: westfränkisch mit MR (L, Ch) öfter auch in Bv repräsentiert und ostfränkisch H, (C, E), das eher in den aquitanischen Hss vertreten wird.

Die diastematische Restitution der adiastematischen Handschrift Hartker (C,E) ist das Thema der 2.Hälfte des 20.Jh. Die Quellenlage ist verwirrend. Die centologische Struktur der AN und RP ermöglicht allerdings über den Handschriftenvergleich hinaus auch den Centovergleich: den Vergleich der selben Melodie in unterschiedlichen Stücken mit unterschiedlichen Texten (crosscheck), also nicht nur die Restitution einer Stelle aus dem Blick auf die wesentlichen Zeugen für dieses Stück, sondern auch der Vergleich von Parallelstellen in anderen Stücken.

Die Melodie, der Sprachbogen ist nur eine Seite der Medaille.
Der Rhythmus, derSprachstress, die Artikulation der Texte, wie er in den Neumen von St.Gallen, und durch Laon bestätigt, ablesbar ist, wurde bisher kaum oder gar nicht in den neueren Editionen berücksichtigt. Immer noch ist der solesmenser Aequalismus und das Notenbild des GR, hervorgehoben ist immer der erste Ton, in unseren Köpfen vorherrschend. Das logische „a priori“ des Jahres 1908: Alle Töne sind gleich lang (Zählmethode), jede Neume beginnt mit der ersten Note (L.Agustoni), die „ewige Melodie“ der Romantik befällt auch den „cantus gregorianus“, denn er ist ja, zwar liturgísche, aber Musik. Das Reden über den cantus gregorianus sollte jedoch immer mit dem Satz beginnen: „Gregorianik ist nicht Musik, sie ist Sprachkunst“ und muss sich deshalb von jedem musikalischen a priori, vor allem dem des endenden 19.Jh. absetzen.

Mit dem Graduale novum (GrN) steht uns eine Edition zur Verfügung, die die „Melodie“ im Sinne der ältesten Quellen treu restituiert. Die Frage nach der Artikulation, dem „Rhythmus“ ist, aus welchen Gründen auch immer, völlig ausgeklammert. Ein „Graduale authenticum“ muss sich auch dieser Frage stellen, und aus diesem Blickwinkel die übliche Quadratnotation systematisch ändern. Dabei ist die Überwindung des Aequalismus das Hauptproblem. Verbaliter haben wir uns von ihm getrennt, de facto huldigen wir ihm weiter, nicht zuletzt wegen der formativen Kraft der faktisch benützten Editionen.

Gregorianischer Choral

Artikulation und Neographie

Was ist gregorianischer Choral - authentischer Choral

status quo

19.Jh und Solesmes

Eine Neume beginnt mit der ersten Note

Neographie

LH 1985 ist computertechnisch zu sprechen 0.2 gegenüber dem GR 0.1. Wir postulieren einen grundsätzlichen Neuansatz, dem die Bezeichnung 1.x zusteht.

Graduale novum


Sprachgefühl

MA - heute

e.g.: 7132
heute: quoniam doluit dominus - super te
MA: quoniam doluit - dominus super te

Historische Dimension

Je früher der zeitliche Ansatz, desto dünner die Quellenlage und desto schwerer lesbar die Quellen.

Obwohl vor 100 Jahren von Solesmes publiziert, wurde codex MR bisher praktisch nie in die Forschung einbezogen.

aqu…

Bv

assoziieren - definieren

Jedes Forschen an mittelaterlichen Fakten ist erschwert durch die grundsätzlich andere Denkweise des Mittelalters gegenüber der Neuzeit.

Die Neuzeit (zuletzt auch der Computer) definiert, grenzt ab, seziert bis ins Detail, zwingt zu einem
entweder - oder.
Das Mittelalter, Gedächtniskultur, kaum schriftliche Stützen, assoziiert, lässt die Gedanken frei folgen, nicht ungeordnet aber frei von entweder - oder, führt zu einem
sowohl - als auch.

e.g.: 1699

frOr – frOc

7077 Psalmvers: Compiegne (9.s) und Hartker (1000) verlangen
„Ave maria“. Schon MR (10.s) verlässt diesen Text zugunsten
„Beata quae credidit“, den die späteren Quellen fast geschlossen übernehmen. Nur Ka führt den Beginn „Beata“ anders fort:
„Beata et venerabilis virgo“. Wc hat ganz abgesetzt von allen anderen den Text
„Hodie natus est“.

So lässt sich feststellen: Hartker, die ostfränkische Tradition (frOr), hält am authentischen Vers fest, während die westfränkische Tradition (frOc MR) einen eigenen, neuen Text verwendet. Dieser setzt sich im 11. Jahrhundert allgemein durch. Die beiden späten Zeugen der jeweiligen Traditionen Ka – H auf Linien – für die traditio franciae orientalis und Wc – MR auf Linien – für die traditio franciae occcidentalis weichen zu je eigenen Texten aus.

7413 „natum regem“, 7417 „fratri suo“

TerzIntonation zur QuartIntonation 0001, 0002

7490 „relictis“, 7099 „indicavit“, 7326 „collaudant“

7066 + 7644 Vergleich des Cento F.


2. Gregorianik

E+H bereits von der 2. Gregorianik infiziert

7405 V. „Induit“ Das altius in H erzwingt do-Revision.

0146i-ta oculi“ Das sursum verlangt bereits den Durchgangston „fa“.

RP4 Ps !

e – aequaliter

unisonisch oder Halbton

7509



"Resupin - Oriscus"

0140

7505me domine“ 7663 „spe-ro in te“


"Korrektur Centovergleich"

7782 „grati-a


Quilisma

7404 „ho-mo“: cf. Einstieg zur Kadenz: jüngere Hss schreiben kein Quilisma
Das Quilisma ist kein Ton: 7405 V. Fo – T1 „Marga-ri-tas“

Liqueszenz

7745 „accepturi erant“ Welche Funtion kann hier der Epiphonus haben? Lasse keinen Trc folgen. Keine TrcTrc-Kadenz!

Oriscus


Plerosis

0849„Quid molesti“ Vergleich H-MR.

7305 „in refugium“ schönes Beispiel
7241 „car-ce-rem“

7103 laus eius“

0575 „Be-ne-dico“

do-Revision

alloquium

Der 1.Ton des Pes ist so leicht, dass er einfach keine eigene Stufe bilden kann. Selbstverständlich schließt er daher unisonisch an die vorherige Silbe an. Wenn einmal tatsächlich der erste Ton des Pes ein „sol“ sein soll, dann ist das „expressis signis“ angezeigt e.g.: 0621 „de fruc-tu“. Das levare sichert, dass das INC nicht als Aufstieg „do - re - fa“ verstanden wird, das sursum sichert das ungewöhnliche „sol“.


Quart-Korrektur

vide et 2. Gregorianik

7563 „dimitte“ Bv

7332 „et in“ 3x


Tritonusphobie

7042 Gf

0090 óm-nis“ 'sursum'

ad exemplum: 7249 „et vi-vat“ Gf - T2 etc. ad „do“

7786 §opprimamus„ und „homicidae“.

0855 fir-mat„ 'sursum parvulum' kann nur al Hinweis auf den Tritonus gelesen werden (pravulum = nicht zum „do“). Das „si“ steht im Sog der Bivirga „do“, ist also zu treffen. Die Folgestelle „semen“ ist zu diskutieren. Führt der Pes e-ius„ zum „do“?

Gegenprobe

Quervergleich = crosscheck (Kreuzverhör)

Eine Neume / eine Silbe nicht nur aus dem Vergleich der Hss festlegen wie bisher, sondern auch aus dem Vergleich des selben Cento an unterschiedlichen Stellen des Repertoire. ae.: 7343 Cento A: “prae-clarus„ muss sol-la-do sein, wegen des Vergleichs mit: 7254, 7744, 7234, 7186, 7333, 7638, obwohl in 7343 keine diastematische Hs diese Tonfolge aufweist.

vide et: 7350, 7086 RP7 C2 „Beati mites“.

7026B „domino“ + 7439F „cottidie“

7376 5C „mansiones“ auf Grund der CAD 5c nach T1 ausgebessert.

7336 5Ω “cer-tamine„ nur Wc, ohne Formelvergleich nicht richtig lösbar.

RP 5 7264is-rael„ Schlüssel beachten!?

RP 5A 7371 „adam“ = 7485 „suum“

RP 5C 7204 „hominem solum“ et 7223 „mihi“.


Hexeneinmaleins

(sehr frei nach W. Goethe).

Aus zwei mach eins, aus eins mach zwei,
das ist die Neumenzauberei.
1 = 2 + 2 = 1.

• In mehreren Bereichen erklärt die traditionelle Choraltheorie, zwei verschiedene Zeichen in H könnten in der Praxis (Übertagung in Quadratnotenschrift) Ein und das Selbe bedeuten.
• Ebenso wird ein einziges Zeichen in H als zwei verschiedene Quadratzeichen übertragen.
Diese Lehrsätze sind Hilfskonstruktionen für nicht völlig verstandene Choralfakten und haben ihre Begründung im langen Weg der Choralrestitution von den völlig verrotteten Ausgaben des 16. Jh. ausgehend, über die eingeebneten, im Zeitgeist des 12. und 13. Jh „geschönten“ Quellen (cantus planus) hin zum Übergang von der Adiastematie zur Diastematie um 1000, der selbst schon einen mündlichen Weg von über 200 Jahren hinter sich gelassen hat. Neumen des 10.Jh aus Quellen des 12. Jh und später zu interpretieren muss zu Verwerfungen führen.

1🟰2
Die Virga strata soll HalbtonPes und/oder Bivirga bedeuten. Warum schreibt H dann nicht eine Bivirga für die Bivirga? Besonders fragwürdig ist es, wenn eine Bivirga 'celeriter' sein soll! Ist der Oriscus eine 'Neume mit Signalfunktion', dann ist die Frage zu stellen was er signalisiert. Ebenso ist zu fragen, was eine 'Neume' ist: ist sie immer ein Ton oder manchmal doch nur ein Hinweis/ein Wink? Die Virga strata ist eine Virga; der verbunden notierte Oriscus gibt einen Hinweis auf den Melodieverlauf in der adiastematischen Notation, speziell auf den Halbton und den Aufstieg zum Ténor.

Der ScaFlxRes der Responsorial-Psalmodie des 4.Tonus, die penultima der pentasyllabischen Kadenz, wird in H in zwei unterschiedlichen Formen notiert: Porrectus-Graphie oder Clivis cum Stropicus applicatus. Der gängigen Lehrmeinung nach bedeuten beide das Selbe; auch die ResupinNeume des Porrectus kann unisonisch anschließen (es ist gut erinnerlich, mit welchem Nachdruck Rupert Fischer das immer wieder darlegte). Und tatsächlich notiert Bv ( und Gf ) diese Penultima ausschließlich mit ScaFlxApp. MR hingegen verwendet ausschließlich die Resupin-Graphie. Wenn man Bv als die Hauptquelle diastematischer Information annimmt, durchaus verstehbar. Die Quellenlage ist komplex/mager. MR notiert keine Psalmodie, T1 wenn überhaupt nur das Incipit. Bleiben nur die jüngeren Quellen : Ka + Lc schreiben die penultima unisonisch /ScaResApp), Wc, Fo, Wm resupin (ScaFlexRes). In 7088 hat sich allerdings in Fo + Wm ein „unisonischer Rest“ erhalten. Die Unterscheidung von resupin und applicatus in H ist auch in den 13 Fällen, wo die pentasyylabische Kadenz in den RP als Cento D verwendet wird, nur rudimentär in T1 und T2 entsprochen. Bedenkt man aber die reiche Verwendung von colon und circulatio auf der ultima und weitere Vatianten in der Kadenz, so ist der Wechsel zweier penultimaFormen nahezu zwingend. Ein Textvergleich lässt vermuten, dass die applicatusForm 'weicheren' Texten zugeordnet ist.

Der kPes und der nkPes in H (auch L und Ch ) hat in der Quadratnotenschrift nur ein Zeichen: zwei Quadrata übereinander, weil die diastematischen Schriften wichtiger genommen werden (Bv) als die früh noch kaum deutbaren adiastematischen Quellen. Leider verstehen bereits Tol und Bv den Unterschied k - nk nicht mehr. Der cantus gregorianus ist bereits im 11.Jh nur mehr ein 'cantus planus'.
Der erste Ton des kPes ist so leicht, dass er auch entfallen kann, wie der erste Ton des Torculus specialis. Die Neume ist dann ein „eintoniger Pes“ (vide „dic pharaonis“). Eine ehrliche parola cantata kommt ohne eigene Graphie für den kPes und den Torculus initio debilis nicht aus.


2🟰1

Die Liqueszenz soll einmal augmentativ ohne einen zweiten Ton und dann diminutiv mit einem kleinen (?) zweiten Ton zu übertragen sein. Ist Hartker oder dem Cantatorium keine Möglichkeit eingefallen, den Unterschied graphisch darzustellen? Oder soll, egal ob diminutiv oder augmentativ entstanden, bei der Liqueszenz immer der zweite Ton entfallen, dem liqueszenztragenden Ton selbst aber ein kleiner Mehrwert zugestanden werden? Einem Pes den oberen Ton wegzunehmen um ihn dann doch wieder 'ein bisschen' klingen zu lassen, ist widersinnig.

Das equaliter im codex Einsiedeln kann, so die opinio communis, Halbton oder unisonischen Anschluss bedeuten. Warum nicht auch im Cantatorium oder in Laon ? Codex Einsiedeln, um 1000 geschrieben, geht bei 'equaliter' bereits einen Schritt in Richtung do-Revision. Halbtonanschlüsse werden manchmal zu unisonischem Anschluss redigiert, kann aber auch Gründe haben, die zeitlich vor der do-Revision liegen:

Im IN Sacerdotes dei steht das 'equaliter' für die ostfränkische Choraltradition: Westen „mi“, Osten „fa“. Im RP-Repertoire ist der Unterschied Ost-West sehr deutlich zu erkennen. Der konservative Osten (St.Gallen) wird nicht selten vom moderneren Westen verdrängt. Dabei geht Benevent sehr häufig mit der traditio frOc, während Toledo (zumindest T1) bei der traditio frOr verharrt. Hier ist das „fa“ also nicht do-Revision! Wenn man Einsiedeln singen will, muss man „fa“ singen; dann muss aber auch der folgende Gipfel „sa“ und nicht „si“ sein. Das passt viel besser in die modale Charakteristik des 6. Modus, als die Quintspannung „mi-si“.
In aller Hochachtung eine Kritik an den BzG: Erster Artikulationspunkt dieser 12TonNeume ist das „fa“ im Tiefpunkt (Ende des PorSbp), nicht das folgende „mi“. Wenn schon „mi“, warum dann nicht nachher Quilisma wie in L?

Es ist an Zeit, die St.Galler Neumen vor allem aus sich selbst zu interpretieren und nicht nur aus Bv oder einer anderen späteren diastematischen Quelle. Die Tableaus in www.omnigreg.at ermöglichen Quervergleiche (crosschek), die manche Dinge in neuem Licht zeigen. Entzaubern wir unser Wissen über die Neumen.


Neographie

Liqueszenz

Oriscus

Quilisma

Zisterzienser-Kritik

Mehrtonneumen auf unbetonten Silben, Akzentsilben „intonneumen

7360 „domino“ Bv !

erkenntnisse/erkenntnisse.txt · Zuletzt geändert: 2023/10/23 11:34 von xaverkainzbauer