alloquium - Anrede /Adresse
Beim ersten Erscheinen dieses Cento 0045 schreibt codex Hartker „e“ aequaliter zwischen erster Virga und dem folgenden kPes, später nicht mehr (Ausnahme ist die MagnificatAntiphon von Weihnachten 0170, wo der Cento 1FML alloq zum ersten Mal im Inneren der Antiphon erscheint). Das Wissen um die Gestalt des Cento wird, wie in anderen Fällen auch, in der Folge vorausgesetzt. Anders als die heute gängigen Ausgaben schreiben wir in allen Parallelfällen unisonischen kPes.
Die klassische Gregorianik denkt rezitativisch. Spätestens aber ab der Jahrtausendwende setzt sich schrittweise ein musikalischer Zugriff auf die Melodien durch: Tonwiederholungen sind verpönt, Intervallsprünge werden wo es geht zu Tonleitern aufgefüllt, die Neumen beginnen mit der ersten Note.
Nicht erst das Tridentinum (Palestrina), schon die Zisterzienserreform kritisiert die „falschen Betonungen“ im gregorianischen Choral. Der Fehler liegt aber nicht bei den „Komponisten“ sondern bei den Ausführenden des 2. Jahrtausends. Der Unterschied zwischen kPes und nkPes ist vergessen, die Melodie ist verändert, so wird zu „di-cí-te“ was „dí-cite“ heißen würde, wenn die Neumen nicht als Musiknoten missverstanden wären. Die Akzentsilbe „Dí-cite“ ist ohnehin immer, unabhängig von Neumenzeichen, zu betonen, der kPes ist nicht mehr als ein Portamento, dessen Beginn gar keine bestimmte Tonhöhe haben kann.
Ist die Anrede ein hebräisches Wort, das auf der letzten Silbe betont wird, so wird der Binnenpes durch den akzentvorbereitenden Torculus (Clivis emphatica, Clivis urgens) ersetzt. Das ist auch der Schlüssel für das Verständnis des endbetonten „dominús“.
H | MR | Tol | Bv | alia | Text | Clv | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
0033 | k | Lc | quó-ni-am | → | |||
0033 | k | Bv1 | Lc | quó-ni-am | → | ||
0045 | e | nk | 1 | dí-ci-te | |||
0049 | k | ét post me | → | ||||
0108 | nk | Bv | dé si-on | ||||
0109 | nk | Bv | dé si-on | ||||
0112 | k | dó-mi-nus | |||||
0145 | k | 1 | síc-ut sol | ||||
0170 | - | hó-di-e | |||||
0170 | e | - | T1 | hó-di-e | |||
0174 | - | hó-di-e | |||||
0235 | - | mú-li-er | |||||
0288 | k | 1 | vé-nit lumen | ||||
0288 | Trc | 1 | sú-per te | → | |||
0292 | k | 1 | psál-li-te | ||||
0307 | ? | - | hó-di-e | ||||
0307 | ? | - | hó-di-e | ||||
0307 | ? | - | hó-di-e | ||||
0322 | k | ? | fí-li-o | ||||
0339 | - | dó-mi-ne | |||||
0340 | k | dó-mi-ne | |||||
0341 | k | dó-mi-ne | |||||
0344 | - | dó-mi-ne | |||||
0345 | - | dó-mi-ne | |||||
0391 | - | Fo2+Ka+Zw | ín-cli-navit | ||||
0409 | - | sól et luna | → | ||||
0469 | - | Bv | lae-tí-tiam | ||||
0563 | ?nk | T2 | mél et lac | ||||
0639 | - | tráns-i-ens | |||||
0717 | vrg | omnes | dó-mi-ne | → | |||
0745 | k | dó-mi-ne | |||||
0777 | k | 1 | sól et luna | → | |||
0789 | vvvrg | vvvrg | vvvrg | DO-MI-NÉ | |||
0790 | - | mú-li-er | |||||
0795 | - | mú-li-er | |||||
0809 | nk | 1 | 1 | quí-a nondum | |||
0816 | nk | dó-mi-ne | |||||
0835 | nk | Lc | vé-ni-at | ||||
0891 | nk | ét non me | |||||
1094 | e | k | et práe-cedet | ||||
1155 | k | í-te-rum | |||||
1176 | - | phíl-lip-pe | |||||
1657 | k | ce-cí-li-a | |||||
1730 | - | síc-ut oves | |||||
1745 | nk• | Trc | Fo2 | iu-di-cábunt | → | ||
1751 | - | 1 | sú-per nivem | ||||
1814 | nk• | dó-mi-ne | |||||
1822 | - | í-de-oque | → | ||||
1909 | - | dó-le-o | |||||
1934 | - | 1 | 1 | Ka | tó-ta die | ||
1979 | vrg | - | dó-mi-ne | → | |||
2018 | - | dó-mi-ne | |||||
2094 | - | dó-mi-ne | |||||
Trc | H | MR | Tol | Bv | |||
0288 | Trc? | 1 | ve-nit lúmen | ||||
0288 | Trc | 1 | sú-per te | → | |||
0343 | Trc | et ia-cób | |||||
0355 | - | DO-MI-NÚS | |||||
0438 | - | DO-MI-NÚS | |||||
0723 | Trc | - | vi-vit hómo | → | |||
0753 | Trc | Trc | fac-tus ést | ||||
0815 | Trc | Trc | la-za-rús | ||||
1760 | Trc | - | cum se-dísset | ||||
1913 | Trc | - | de-o ést | ||||
2027 | Trc | - | ét se-déns | ||||
2041 | Trc | - | -o de té |
dóminus - etc *0045* 0108* 0109* 0145* 0170* 0174* 0235* 0288* 0292* 0339* 0340* 0341* 0344* 0345* 0563* 0639* 0745* 0790* 0795* 0816* 0891* 1155* 1730* 1814* 1909* 2018
dominús -Torculus *0343* 0355* 0438* 0723* 0753* 0815* 1913* 2041
fraglich - fragenswert *0033* 0307* 0391* 0409* 0717* 0777* 0789* 0809* 1094* 1657* 1751* 1760* 1822* 1934* 1979* 2027*
Zur Unsicherheit des unisonischen Anschlusses beim kPes cf.: OF-V2 1017 „in via tua vivifica me, iudicia enim tua“.
weil
Diese für den 1. Modus typische Formel kommt ca. 60 mal vor.
Es ist für eine schriftlose Kultur (Gedächtniskultur) typisch, bei gleichen Denkinhalten auch eine gleiche Wort/Klanggestalt zu wählen. 8 mal wird das Wort „quia“ „denn / weil“ mit den gleichen Pedes fa-la und sol-la vertont.
1101 „…bleibe bei uns Herr, denn es will Abend werden“. Die Begründung „weil / denn“ kann aber auch mitgedacht sein, wenn andere Worte verwendet werden:
Auch wenn das Wort „quia“ nicht ausgesprochen wird, gibt es Zusammenhänge, in denen es unausgesprochen mitgedacht ist.
1270 „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück, ich gehe und komme wieder (= denn ich gehe zwar, aber ich komme wieder).
1552 „Templum domini sanctum est dei cultura est“ - „Der Tempel Gottes ist heilig, (denn) zur Verehrung Gottes ist er“
2312 „Hodie completi sunt dies pentecostes“ - „Heute ist es verfüllt, (denn) fünfzig Tage sind voll“.
0040 Nicht mehr so eindeutig, aber doch nachvollziehbar ist die assoziative Logik bei „Vox clamantis in deserto parate viam domini rectas facite semitas dei nostri.“
Die Formel quia (FML quia) kann durch eine auftaktige Clivis re-do eingeleitet sein. Varianten sind möglich, wie beim PPO „firmiter“ 0172, und gar nicht selten.
Die assoziative Natur der gregorianischen „Komposition“ macht es unmöglich, die Formeln immer voneinander abzugrenzen. In über 20 Fällen wandelt sich der zweite Pes sol-la in Neume „applicatio“ ( Clivis suprapunctis flexus, in der barocken Figurenlehre die „Circulatio“, sie steht in der Gregorianik für Hinneigung - „Zuneigung“)
0747 „Descendentibus illis de monte praecepit eis dicens nemini dixeritis visionem“. „Und als sie vom Berg stiegen, belehrte er sie und sagte: keinem erzählt von der Vision“. Die NMA applicatio könnte man hier als Nachglühen des Berg Tabor-Erlebnisses deuten, die FML quia als „weil sie herabstiegen hatte er Zeit sie zu belehren…“
In 0216 ist das ursprüngliche „quia“ kaum mehr zu erkennen, die Position zwischen fa und la aber dem „quia“ sehr nahe. Ob man diese Form einfach als NMA applicatio deutet oder als FML quia (denn du hast die Nächstenliebe befohlen) ist zweitrangig.
Die Hartnäckigkeit mit der letzte Pes ein Pes quassus ist, gibt zu denken. Nicht erst hier drängt sich der Verdacht auf, dass der Oriscus, ob in der Virga strata am Übergang von einem Cento zum anderen, oder wie hier im Pes quassus am Ende der Formel, kein Hinweis auf eine besonders lange oder besonders intensiv zu sprechende Silbe ist, sondern vielmehr die Abgrenzung eines Cento /einer Formel von der nächsten. Sie unterstützt die memoratio der Klanggestalt, nicht mehr und nicht weniger.
Rezitation la mit Akzent zum do
Der Akzentpes (k oder nk), der bei INC 5Pes für den zweiten, höheren Akzent steht, kann auch auf INC Clv folgen. Dort ersetzt er meist den Cento MED und übersteigt und verstärkt den Hauptakzent „sa“ durch das „do“. Das Ende der Rezitation „la“ bildet fast immer das „sol“, womit ein fließender Übergang zum nächsten Cento, oft TER de5, ermöglicht ist.
Knapp 30x (gesamt 60x), ohne die INC 5Pes zu zählen, wird die FML angewendet. Meistens sind es Texte, die durchaus mit TYPOS vertont sein könnten, FML Rez la Pes do ist der Einstieg in eine individuellere Vertonung, z.B.: 0056, 0065, 0693.
Übersteigerung zum la
Die Formel la-fa-re terminisiert. Sie kommt manchmal als selbstständige Terminatio vor, meistens aber setzt sie sich auf einen anderen Cento und verstärkt durch Übersteigerung zu „la“ den Akzent. Sie ist fast allgegenwärtig und verwischt damit die Grenzen zwischen den Centones.
Als erstes Beispiel ein Fall wo 1FML la-fa-re als selbstständige Terminatio 1TER la-fa-re fungiert 1061. Dann eine 1BIN triv 1615 mit aufgesetztem la-fa-re; zum Vergleich 0301 ein 1BIN zum „re“.
Sehr häufig wird 1TER de5 durch 1FML la-fa-re erweitert 1341.
Seltener wird 2INC cad ad4 0577 so behandelt. Dieser Cento des 2.Modus ist auch im Protus authenticus zu finden. Üblicherweise schließt dieser Cento mit einer Torculusbewegung sol-la-sol, somit ist hier 1FML la-fa-re weniger Übersteigerung, sondern Zuspitzung des Akzentes, umd rasch abzuschließen.
Zuletzt ein 1INC ad4, das mit 1FML la-fa-re 0235 eher betont als verlängert wird.
Erweiterung durch sol-mi (7INC ReSi)
kontrastierender Akzent
Eine Formel, die aus dem Tetrardus stammt und im 1.Modus nicht häufig vorkommt. Sie betont recht signifikant, bevor sie mit dem „do“ den Doppelpunkt setzt.
understatement?
im PROTUS
0078, 0909, 0108, 0176, 0211, 0595, 0600, 0621, 0683, 0909, 1386, 1596a, 2145, -
Dreiklang nach oben: 0033,0080, 0595, 1260, 1314,
im TETRARDUS
0043, 0053, 0272, 0304, 0797, 1058, 1068,
- 3732,
Dreiklang nach oben: 0062,
ausschmückende, umspielende Verstärkung
Pes und Clivis (PeCl) werden gut 50 mal auf einen Incipit- oder Terminatiocento aufgesetzt, um ein bestimmtes Wort zu verstärken. Der Pes akzentuiert das Wort, die Clivis rundet es ab und führt weiter.
0075 „Der Tag des HERRN kommt wie der Dieb in der Nacht / seid auch ihr wachsam / denn ihr erratet nie, zu welcher Stunde der Menschensohn kommt“. „estote et vos parati“ Das INC Vrgstr würde in seiner Grundform den Akzent „paráti“ zu unwichtig erscheinen lassen. - Es folgt FML „quia“.
Je nach Situation kann der Pes kurrent oder nicht kurrent sein, die Clivis kann sich zum Torculus erweitern (Clivis urgens) oder auch zum nkTorculus. So in:
0815 „Lazarus unser Freund schläft/ gehen wir und vom Schlaf wecken wir ihn auf“. Beide Teile der Antiphon sind mit TER de quinto vertont, zwei in sich ruhende ganze Sätze. Der erste Satz ist mit INC alloquium eingeleitet, „Lazarus“ wird gewissermaßen persönlich angeredet. Der zweite Satz eröffnet mit FML „digitus“, dem Zeigefinger „eámus - auf, gehen wir“. Auf die beiden ersten Töne der TER de quinto „sóm-no“ sind Pes und Torculus gesetzt.Die beiden Silben „et a somno“ sollten normalerweise als Erweiterung der TER de quinto mit la -sol vertont sein. Der tiefe Schluss def FML „digitus“ erlaubt das nicht.
Die Formel kann auch erweitert sein zu Torculus + Clivis 0550, 2093.
Die Antiphon 0550 hat noch weiteres bemerkenswertes: INC Cl nur drei Silben vor dem Akzent, daher die Synerese fa-sol „hanc“, die weiterführende Clivis am Ende „vo-cem“ ist mit Oriscus markiert, der hier zwar das Centoende markiert, aber vor allem verhindert, dass mit TER de5 fortgesetzt wird.
0001 „lon-ginquo„
( Clm = Würde und Ruhe, 3Pes = Kraft und Stärke.
1166a
Formel der Stärke, der Macht
retardens - Kunstpause
Diese markante Formel aus TerzPes re-fa und QuartClivis fa-do kommt 35 mal im Kernrepertoire (gesamt gut 50 mal) vor. Ihr Abstieg zum do, unter die Finalis re, erzeugt eine stark kontrastierende Gliederung, einen rhetorischen Stau vor der Hauptaussage, eine Kunstpause vor der Pointe.
0016 ist genau genommen eine dreiteilige Antiphon:
„Angelus domini“ INC vocatio, eine der vier Berufungsantiphonen
„nuntiavit maria“ MED trivium klassisch zweiakzentig zum fa
„et concepit“ TER pertinens Was wird Maria denn sonst als ein Kind empfangen, wenn es schon der Engel des Herrn verkündet hat? matter of fact. Aber so einfach ist es nicht: FML retardens: große Spannung aufbauende Pause: sie empfing „de spíritu sáncto“ TER de tertio. Aber immer noch nicht ist alles gesagt: das nachgestellte „alleluia“ biegt die TER de tertio in die TER verb.add um.
An der Formel FML retardens ist plakativ aufzeigbar, wie es um das Quilisma steht: Alle Handschriften, die ein Quilisma kennen (H,MR,T2,Fo1,Mz) schreiben es. Mit Ausnahme der allerjüngsten Handschrift (Lc) schreiben alle jüngeren Handschriften, ebenso wie die CAO Quellen Ba, Rh, Dh, Ve und De, den TerzPes re-fa. Auch Benevents eigene Lösung beinhaltet die unaufgefüllte Terz re-fa.
reverentia - Verneigung
Nicht ganz 30 Fälle im Kernrepertoire, über 70 gesamt. Dieser 5tonige Pes subpunctis kommt eher in längeren, erzählenden Antiphonen vor. Im Protus authenticus steht er auf den Tönen re-fa-re-re-do.
Dieser Pes subpunctis ist die Verneigung vor einer Respektsperson, unbiblisch gesagt, das Ziehen des Hutes. Grundsätzlich gibt es zwei Gestalten der Formel, am „fa“ artikuliert, oder am „re“ artikuliert,
1101 permutieren!
0063, 0188, 0307, 0647, 0793, 0845, 0892, 1110, 1294, 1426, 1935, 2045,2056, 2063,
2093, 2185, 2219b, 2475, 2698, 2713, 2873a, 2888, 3348, 3387, 3476, 3627, 3782, 3967, 4084, 4132, 4217, 4218, 4274, 4600, 4612, 4631, 4649, 4717, 4784, 4788, 4803, 4825, 5007, 5069, 5070, 5118, 5123, 5162, 5176, 5462, 5463,
0749,
1044,
0628, 1394, 1760, 1905, 4364,
digitus - Belehrung - Der erhobene Zeigefinger
Diese zweisilbige Formel wird 27 x im Stammrepertoire verwendet, nur selten erscheint sie in jüngeren Antiphonen. Sie besteht aus Bivirga und nachfolgendem Pes subpunctis (12-4). Die Bezeichnung „mit erhobenem Zeigefinger“ (digitus) ist vielleicht etwas eng gewählt, auf alle Fälle bedeutet die Formel „Achtung - pay attention“ und wirkt ähnlich der Formel „tardens - Kunstpause“ jedoch ohne deren Stauwirkung.
Wie auch bei den Centones gibt es eine „Randunschärfe“. 18x kommt die Formel in ihrer Grundgestalt vor, bei PPO wird die Bivirga auf zwei Silben aufgeteilt. Durch Verschmelzen mit anderen Centones kann sie variiert werden (0558, 0564), In 0244 verschmilzt sie mit der ClivisIntonation und wandelt sie ab, in 0090 wird sie erweitert „replebitur ómnis terra“, in 1895 schwächt die BinnensilbenClivis die Wirkung ab, und 0218 wird der „digitus“ verkürzt und damit zurückgenommen.
* 0090 * 0216 * 0339 * 0550 * 0564 * 0723 * 0769 * 0814 * 0815 * 0837 * 1411 * 1431 * 1645 * 1645 * 1676 * 1770 * 1813 * 1814 * 1939 * 2014
Varianten * 0244 * 1476 * 1895 * 1993 * 2014
fragwürdig * 0090 * 0218 * 0549 * 0571 * 1749
nach Hartker * 2926 * 3913 * 4512
colon : Doppelpunkt - Rufzeichen - Fragezeichen